Kurze Einführung in die griechische Sage von Polykrates und die Interpretation durch Hubertus Kirchgäßner
Von Andreas Kirchgäßner
In der von Herodot überlieferten Sage geht es um die Hybris, den Übermut, der bekanntlich zum Fall führt. Der historische Hintergrund: Die Macht auf Samos übernahm der Tyrann Polykrates 538 v. Chr. durch einen bewaffneten Überfall während eines religiösen Festes zu Ehren Heras, bei dem er und seine Brüder Pantagnotos und Syloson die unbewaffneten Teilnehmer festsetzten, einige töteten und auch die Akropolis besetzten. Zunächst herrschten die drei Brüder gemeinsam über Samos, doch Polykrates entledigte sich seiner Mitherrscher, indem er Pantagnotos ermordete und Syloson ins Exil trieb. Von nun an herrschte er allein.
Durch Piraterie häufte er großen Reichtum an und lockte damit berühmte Persönlichkeiten an seinen Hof. Er ließ einen Palast bauen, der noch lange später von Caligula bewundert wurde. Dort wirkten Dichter und rühmten den Tyrannen. Alle Versuche der Samier, Spartaner und Korinther, ihm Einhalt zu gebieten, schlugen fehl. Polykrates konnte als Tyrann von Samos weiteren Reichtum anhäufen.
Sein Verbündeter, der ägyptische König Amasis, warnte den Griechen laut Herodot, dass zu viel Glück den Neid der Götter errege und er sich von seinem größten Schatz trennen solle. Polykrates wirft daraufhin einen wertvollen Ring ins Meer, bekommt ihn jedoch wider Willen zurück. Der entsetzte Amasis erkennt darin ein Zeichen der Götter und beendet das Bündnis.
522 v. Chr. geriet Polykrates, von Geldgier getrieben, in einen Hinterhalt seiner Gegner. Nachdem sie ihn, wie Herodot schreibt, „eines Todes hatte sterben lassen, den ich nicht erzählen mag, hängten sie ihn ans Kreuz.“
Im Libretto führt Hubertus Kirchgäßner die von Herodot überlieferte Sage, anders als Schiller, in einem der griechischen Klassik nachempfundenen Stil mit etwas eigenwilligem Verlauf vor. Thema ist aber weiterhin die antike Vorstellung von der Unbeständigkeit des Glücks, das, wenn es im Übermaß kommt, zu Übermut und mithin zum Fall führt. Kirchgäßner ging es dabei um das rechte Maß. Jeder hat seine Zeit, schreibt er. Aktuell ist daran, dass er der Selbstverliebtheit und den Glücksversprechen unserer Mediengesellschaft die Mahnung zur Bescheidenheit, zum Ausgleich entgegenhält. Er will sagen: Bleib auf dem Teppich!
Warum Kirchgäßner dieses Thema zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn so beschäftigte, lässt sich nur vermuten. Er bewegte sich nach Beendigung des Studiums an der Kunsthochschule Freiburg zwischen ziemlich extravaganten Künstlern. Kann sein, dass diese Selbstverliebtheit und auch das Sonnen im ersten künstlerischen Erfolg ihn dazu inspirierte, mit Polykrates den Hochmut vor dem Fall zu thematisieren, also die Endlichkeit des Erfolges. Kirchgäßner hatte übrigens vor seinem Kunststudium Geschichte und Philosophie studiert, weshalb ihm der Stoff und sein historischer Hintergrund genauso vertraut war, wie die philosophische Betrachtung der Hybris.
Hubertus Kirchgäßner hat sein ganzes Berufsleben lang gemalt. Er hinterlässt ein Atelier voller „schöner Bilder“. Er schrieb zu diesen Bildern: „Ich mache ,schöne Bilder‘. Ich möchte, dass meine Bilder als schöne Bilder gesehen werden. Ich wünsche, dass die Menschen erkennen, dass die Bilder schön sein wollen. Das Schöne in den Bildern ist mein Programm. Ich stehe dazu.“